Frage 1 Allgemein

  • Gewährt das Grundgesetz dem Berufsbild „Heilpraktiker“ Bestandschutz oder wäre eine Abschaffung des Heilpraktikerberufs durch die Errichtung eines umfassenden Arztvorbehaltes verfassungsrechtlich möglich?
  • Bestünde im Falle einer Berufsschließung ein Bestandsschutz für die bereits aktiven Berufsangehörigen oder für die in einer Ausbildung befindlichen Berufsanwärter?

Gliederung

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Heilpraktiker üben einen Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG aus und werden von dessen Schutzbereich erfasst. Der Schutz von Art 12 Abs. 1 GG umfasst auch Berufsanwärter, die durch die Anmeldung zur entsprechenden Ausbildung oder durch die bereits erfolgte Aufnahme der Berufsausbildung ihre Entscheidung für den Heilpraktikerberuf bereits getroffen haben. Auch Betreiber von Schulen zur Ausbildung von Heilpraktikern oder dort tätige Lehrpersonen können sich auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG berufen.

Ein gesetzliches Arztmonopol würde sich schwerwiegend auf die Berufswahl auswirken. Es griffe empfindlich in die Berufsfreiheit ein, weil die Regelung einer Berufsaufgabe bzw. einem Berufsverbot zumindest nahekäme. Die bisher als Kandidaten für den Heilpraktikerberuf in Betracht kommenden Personen würden davon abgehalten, den Beruf des Heilpraktikers anzustreben. Die bereits tätigen Heilpraktiker könnten ihren Beruf nicht weiter ausüben.

Dieser Eingriff wäre weder geeignet, noch erforderlich oder zumutbar und somit unverhältnismäßig. Er wäre verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Weder eine Vereinheitlichung der medizinischen Tätigkeiten (Naturheilkunde und Schulmedizin) noch der Berufsbilder (Arzt und Heilpraktiker) ist möglich. Naturheilkunde kann mangels wissenschaftlicher Evidenz grundsätzlich kein Bestandteil der Schulmedizin werden. Heilpraktiker können nicht in die Ärzteschaft integriert werden. Zwar üben sowohl Heilpraktiker als auch Ärzte Heilkunde aus, dennoch unterscheiden sich die Berufe in tiefgreifender Art und Weise. Dies betrifft neben den rechtlichen Rahmenbedingungen (dem Berufsrecht) insbesondere auch die genutzten Diagnoseverfahren, Heilverfahren und die Therapieansätze. Aufgrund der unterschiedlichen heilkundlichen Ansätze kann die Tätigkeit des Heilpraktikers nicht in der schulmedizinisch geprägten Ärzteschaft aufgehen. Ein Arztmonopol würde deshalb zum weitreichenden Verbot der bislang von Heilpraktikern angebotenen Dienstleistungen führen. Eine vermeintliche rechtliche „Vereinheitlichung“ der Berufsbilder würde sich als faktische Abschaffung der naturheilkundlichen Heilverfahren und des Berufs „Heilpraktiker“ erweisen. Der Bevölkerung wäre der legale Zugang zu naturheilkundlichen Verfahren hierdurch weitgehend versperrt. Naturheilkundliche Heilverfahren würden somit in den Bereich der Illegalität verdrängt werden. Eine solche Entwicklung stünde im Widerspruch zu der Hauptleistung des HeilprG: Dieses hat die Möglichkeit einer Heilbehandlung jenseits der evidenzbasierten Schulmedizin in einem legalen Rahmen ermöglicht, zugleich aber eine staatliche Aufsicht hierüber gewährleistet.

Heilpraktiker greifen mit ihren Verfahren das Bedürfnis der Bevölkerung nach naturheilkundlichen (alternativen) Behandlungsformen auf. Diese Verfahren werden aufgrund ihrer Unwissenschaftlichkeit von der Schulmedizin überwiegend nicht anerkannt und stoßen dort auf Skepsis und Ablehnung.  Dennoch finden sie in weiten Teilen der Bevölkerung eine große Akzeptanz und Wertschätzung. Heilpraktiker sind nicht in das System der gesetzlichen Krankenkassen eingebunden und entlasten hierdurch die gesetzlichen Kostenträger in erheblichem Umfange. Die Abschaffung des Heilpraktikerberufs würde das heilkundliche Dienstleistungsangebot weiter verknappen.

Um sein Ziel – einen verbesserten Patientenschutz – zu erreichen, könnte der Gesetzgeber das Qualifikationsniveau der Heilpraktiker anheben, bzw. dieses belegbarer zu machen. Entsprechende Maßnahmen könnten insbesondere bei der Berufsausbildung ansetzen, indem die Ausbildung zum Heilpraktiker staatlich reguliert würde.

Als milderes Mittel könnte der Gesetzgeber einen Vorrang der ärztlichen Behandlung einführen. Ein solcher Vorrang der schulmedizinischen bzw. ärztlichen Behandlung würde die Bedenken gegen die Tätigkeit der Heilpraktiker ebenfalls ausräumen, indem er die Behandlung durch Heilpraktiker an eine ärztliche Voruntersuchung knüpfen würde. Zudem kann der Gesetzgeber auf neu entdeckte Risiken durch die Tätigkeiten der Heilpraktiker mit dem Erlass weiterer Tätigkeitsverbote reagieren

Der Nutzen eines Arztmonopols für die Patientengesundheit wäre gering. Die nachteiligen Auswirkungen auf die Freiheit der Berufswahl wäre hingegen gravierend. Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger stünde nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen. Ein Arztvorbehalt würde Heilpraktikeranwärter zum Erwerb weit überzogener Fachqualifikationen zwingen. Sie benötigen die ärztlichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten nicht, weil sie keine Schulmedizin als Teil ihrer zukünftigen beruflichen Tätigkeiten anstreben, sondern diese für ihren Beruf gerade ausschließen und sich komplementärer Verfahren bedienen. Um der Bevölkerung in Fragen der Naturheilkunde kompetente Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen, bedarf es keiner ärztlichen Fachqualifikation, sondern einer spezifisch naturheilkundlichen Qualifikation.

Die Einbeziehung der Alternativ-/Naturheilkunde in die dem ärztlichen Beruf vorbehaltenen Tätigkeiten wäre mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar; die Voraussetzungen der Zulassung zum Arztberuf stellen an Berufsbewerber, die nur naturheilkundlich tätig werden wollen, unangemessen hohe Anforderungen. Sie müssten Kenntnisse und Fähigkeiten nachweisen, die sie für die beabsichtigte Tätigkeit nicht benötigen. Die normative Fixierung der Berufsbilder durch Schaffung eines Arztvorbehalts würde die historisch gewachsene Ausdifferenzierung und Aufgabentrennung der Berufe einebnen. Dies würde über eine stets erforderliche Typisierung auf Grundlage von durchschnittlich gerechtfertigten Qualifikationserfordernissen weit hinausgehen. Die Errichtung eines Ärztemonopols unter Abschaffung des Heilpraktikerberufs wäre aus diesen Gründen unverhältnismäßig und somit verfassungswidrig.

Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfasst die Möglichkeit, Hilfe zur alternativen Heilbehandlung in Anspruch zu nehmen. Die Leistung kann gegenwärtig ausschließlich der Heilpraktiker anbieten. Seine Abschaffung würde mit dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten kollidieren.

Die Errichtung eines Ärztemonopols würde deshalb gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG lässt es nicht zu, Heilpraktiker unter dieselben berufsrechtlichen Normen zu subsumieren wie Ärzte.

Der verfassungsrechtlich gewährleistete Vertrauensschutz würde selbst im Falle einer Berufsschließung eine langfristige Besitzstandswahrung der Berufsangehörigen erfordern. Da ein Übergang in den ärztlichen Beruf nicht möglich wäre, müssten Heilpraktiker aus Gründen der Verhältnismäßigkeit weiterhin berechtigt bleiben, ihren Beruf auszuüben. Eine sofortige Inkraftsetzung würde ausscheiden. Geschlossen werden könnte der Berufszugang, d. h. es würden keine weiteren Heilpraktikerzulassungen an Berufsanwärter erteilt werden. Auch ein Vertrauensschutz der bereits in einer Ausbildung befindlichen Berufsanwärter wäre verfassungsrechtlich geboten.